Gemischte Filial- und Franchise-Systeme
Wer sich mit Franchising beschäftigt, kommt schnell zu der Überzeugung, dass ein Franchise-System beträchtliche Vorteile gegenüber einem Filialsystem besitzt. Nur so ist der seit Jahrzehnten andauernde weltweite Vormarsch des Franchising erklärbar.
Motivation durch Einsatz von Eigenkapital
Im Vordergrund steht das höhere Engagement des Franchise-Nehmers im Vergleich zum Filialleiter. Es ist logisch und unbestreitbar, dass der Einsatz von eigenem Kapital (in der Regel des gesamten Vermögens einschließlich geliehener Mittel) wesentlich stärker motiviert als ein Anreizsystem für Angestellte. Für den Franchise-Nehmer geht es um Sein oder Nichtsein. Bei einem Scheitern der Existenzgründung ist eine Wiederholung in der Regel nicht mehr möglich und sozialer Abstieg unvermeidbar. Was diese hohe Motivation bewirkt, wird deutlich am Beispiel von Filialisten, die bereits Filialen an frühere Filialleiter verkauft haben. Hier ergab sich im Handel bei unverändertem Standort, Kundenstamm und Sortiment ein bis zu 10 % höherer Umsatz, ein bis zu 15 % höherer Rohgewinn und eine um 50 % reduzierte Inventurdifferenz.
Abgesehen von der höheren Vertriebskraft kann der Systemgeber im Franchising ein marktweites Vertriebsnetz mit wesentlich geringerer Investition aufbauen als bei einer Filialisierung. Er konzentriert seine finanziellen Mittel auf die Entwicklung und ständige Optimierung wirkungsvoller Werkzeuge sowie die intensive Weiterbildung und Betreuung seiner Vertriebspartner. Nach dem Prinzip der graduellen Perfektionierung steigert er damit das unternehmerische Niveau sowie die Qualität des Marktauftritts und der Marktbearbeitung kontinuierlich.
Synthese beider Welten
Trotz dieser unübersehbaren Vorteile des Franchising entstehen im Markt zunehmend gemischte Filial- und Franchise-Systeme, und zwar aus zwei Quellen: Einerseits verdichten immer mehr Filialisten ihr Vertriebsnetz durch Franchise-Nehmer in potenzialschwächeren Gebieten. Teilweise “privatisieren” sie auch Betriebe auf Grenzstandorten, die sich als Filialen nicht mehr rechnen, soweit dort ein Franchise-Nehmer aufgrund seines höheren Rohgewinns noch gut existieren kann. Darüber hinaus davon nutzen Filialisten Franchising zur internationalen Expansion, weil sie so bei geringerem Kapitaleinsatz neue Märkte relativ schnell abdecken können. Häufig geschieht das gemeinsam mit einem nationalen Joint-Venture-Partner.
Andererseits entstehen Mischsysteme durch erfolgreiche Franchise-Geber, die renditestarke Anlageobjekte für ihre Gewinne suchen. Da die Eigenkapitalrendite in Handel und Dienstleistung wesentlich höher ist als die Rendite von Finanzanlagen, bietet es sich an, das eigene Geld in der eigenen Kette zu investieren. Dort kennt man das Metier und hat sein Kapital unter ständiger Kontrolle. Für den Franchise-Nehmer bedeutet das verstärkte finanzielle Engagement des Franchise-Gebers zugleich eine Stärkung seines Vertrauens in die Marktchancen des Systems.
Ähnliche Überlegungen verfolgen teilweise auch Konzerne, wenn sie (was zunehmend geschieht) auch Franchise-Systeme in ihre Absatzstruktur einbeziehen. In diesem Fall führt häufig der Aspekt der höheren Wertschöpfung dazu, einen wesentlichen Anteil der Vertriebsstellen als Filialen zu betreiben. Die Franchise-Betriebe dienen dann der breiten Potenzialausschöpfung und sind somit ein organisches zweites Bein.
Vor- und Nachteile
Sowohl die Expansion eines Filialsystems durch Franchise-Betriebe als auch die Anreicherung eines Franchise-Systems mit Filialen erfolgen also unter strategischen Aspekten. Der Aufwand und Zeitbedarf für die Diversifikation in die jeweils “zweite Welt” sind gering, weil die Infrastruktur sowie die Werkzeuge weitgehend vorhanden sind und die Prozesse bereits reibungslos laufen. Funktional besteht ohnehin kein Unterschied zwischen einer Filiale und einem Franchise-Betrieb. Mit der Synthese beider Welten verzichtet der Systemkopf bei einem Teil der Vertriebsstellen auf die Vorteile des Franchising. Dagegen vermitteln aber die Filialen ein größeres Marktgewicht und höhere Stabilität. Diese Aspekte gewinnen vor allem dort an Bedeutung, wo der ein Hersteller oder Importeur einen steuerbaren und sicheren Vertriebsweg für seine Produkte sucht, weil er sonst in zu große Abhängigkeit von zunehmend stärkeren etablierten Absatzmittlern gerät.