Ratgeber & Podcast

für Franchisezentralen

Gemischte Filial- und Franchise-Systeme

Hubertus Boehm: Guten Morgen,
liebe Teilnehmer, seit 50 Jahren lebe ich in München. Seitdem habe ich dort eine
liebenswerte Nachbarin: Frau K. Jeder kennt die Gewohnheiten des anderen. Häufig
kommt es zu einem kleinen Plausch über den Gartenzaun. Das ist Lebensbegleitung
auf 20 Metern Distanz. Heute wird Frau K. 100 Jahre alt. Bundespräsident (der
stellvertretende), Ministerpräsident und Oberbürgermeister haben schon
gratuliert. Für 11.30 Uhr hat Frau K. Verwandte, Freunde und Nachbarn zu einem
Empfang gebeten. Da möchte auch ich gratulieren. Deshalb beginnen wir heute
ausnahmsweise eine Stunde früher und unterbrechen den Chat um 11 Uhr. Der
Chatroom bleibt jedoch bis 12 Uhr offen. Alle bis dahin eingegegangenen Fragen
werde ich bis spätestens 16 Uhr beantworten. Ich gehe davon aus, dass Sie für
diese Ausnahmeregelung Verständnis haben, und erwarte Ihre Fragen. Ihr Hubertus
Boehm

Leser: Guten Morgen Herr Doktor Boehm und
vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, unsere Fragen zu beantworten. Hier
meine erste: Können reine Franchise-Systeme angesichts einer Franchise-Gebühr
von 5 bis 10% überhaupt die notwendige Kompetenz und Schlagkraft in der Zentrale
aufbauen, um sich im Markt zu behaupten?

Hubertus Boehm: Der Erlös der
System-Zentrale hängt natürlich vom Umsatzvolumen ab und somit vom Geschäftstyp.
Im Handel sind generell die Umsatzzahlen höher als im Dienstleistungsbereich,
weil dort mit einer relativ geringen Zahl von Mitarbeitern große Mengen
umgeschlagen werden können. Selbstverständlich spielt auch die Betriebsgröße
eine Rolle. Ein OBI-Markt mit 10.000 qm Verkaufsfläche hat natürlich einen
wesentlich größeren Umsatz als eine Boutique mit 100 qm. Daraus resultiert auch
die Variationsbreite der Franchise-Gebühren im Handel zwischen 2 und 5 %. In der
Dienstleistung werden dagegen Arbeitsstunden von Mitarbeitern “verkauft”.
Dadurch ergeben sich relativ enge Umsatzgrenzen. Deshalb ist hier der
Prozentsatz der Franchise-Gebühr mit 5 bis 10 % höher. Die Zentrale ist
Dienstleister der Franchise-Nehmer (FN) und übernimmt im Rahmen einer
“vertikalen” Arbeitsteilung wesentliche Aufgaben. Diese Funktion einschließlich
der Vorleistungen in Entwicklung und Aufbau des Systems sowie einer angemessenen
Gewinnspanne müssen durch die Franchise-Gebühren abgegolten werden.
Selbstverständlich gibt es eine “Durststrecke” bis zur Gewinnschwelle. In der
Regel liegt der Break-even-Point zwischen 30 und 50 FN. Die Finanzierung der
Unterdeckung gehört zu den Investitionen des Franchise-Gebers (FG) – häufig
bildet sie den größten Anteil. Dies wird oft übersehen mit der Folge, dass
gerade in der Start- und Aufbauphase die notwendige “Schlagkraft” fehlt und das
Franchise-System “vor sich hindümpelt”. Andererseits bestätigen in Deutschland
mindestens 300 größere Franchise-Systeme, dass ein FG Geld verdienen kann.

Leser: Guten Morgen! Sind Mischsysteme
erfolgreicher als reine Filialsysteme oder reine Franchise-Systeme. Wenn ja,
warum?

Hubertus Boehm: “Erfolgreich” ist
hier schwer zu definieren. Mischsysteme haben stets einen kapitalkräftigen
Filialisten im Hintergrund und gehen dann von einem bereits bestehenden Netzwerk
mit Marktgeltung aus. Eine leistungsfähige Infrastruktur sowie bewährte Tools
sind vorhanden. Alle Prozesse laufen reibungslos. Das Franchise-System ist dann
ein “Appendix” und segelt im Windschatten der Filialen. Hier entfallen also die
Probleme, die mit der “Durststrecke” reiner Franchise-Systeme zusammenhängen:
insbesondere fehlendes Eigenkapital und somit unzureichende Kapazität,
unvollständiger “Werkzeugkasten” und Partnerrekrutierung auf “kleiner Flamme”.
Diese Konstellation ist für die Mehrzahl der rund 1.000 deutschen FG typisch.
Verglichen mit diesen schwach expandierenden Systemen sind somit die von
Filialisten initiierten Mischsystem erfolgreicher. Abgesehen davon entstehen
natürlich auch Mischsystem auch dadurch, dass erfolgreiche große FG ihre Gewinne
in eigene Standorte investieren, weil sie dort die höchste Rendite erhalten, und
ihr Geld im Zugriff bleibt.

Leser: Guten Morgen Herr Dr. Boehm. Stimmt es,
dass Mischsysteme nur solche Standorte an Franchise-Nehmer vergeben, die
besonders schwierig oder weniger profitabel sind?

Hubertus Boehm: Es wäre sicherlich
strategisch falsch, wenn man den FN besonders “schwierige” Standorte zuordnen
und die weniger schwierigen selbst besetzen würde. Da ein FN im Vergleich zur
Filiale das Geschäftsmodell selten “lupenrein” umsetzt und stets mit gewissen
Abstrichen zu rechnen ist, wäre ja gerade an den schwierigen Standorten die
Gefahr eines Scheiterns besonders groß. Das kann nicht im Interesse des FG
liegen, weil jeder Misserfolg auf das Image des Systems zurückfällt und damit
die Attraktivität der eigenen Filialen schmälert und zugleich das Gewinnen neuer
FN beeinträchtigt. Andererseits zeigt die Erfahrung, das ein FN (in Grenzen)
auch dort noch gut “leben” kann, wo sich eine Filiale nicht rechnet. Im Handel
gelten 10 % Mehrumsatz und 15 % höherer Rohgewinn als Faustformel. Davon
abgesehen kann die Inventurdifferenz bis auf 50 % sinken. Unter diesen Umständen
kann es durchaus legitim sein, wenn ein Filialist einem FN einen Standort
anbietet, der keine Filiale “trägt”.

Leser: Welche organisatorischen
Voraussetzungen müssen in der Zentrale eines Mischsystems für eine effektive
Zusammenarbeit der beiden Netzwerke geschaffen werden?

Hubertus Boehm: Jeder Filialist
besitzt bereits eine durchstrukturierte Zentrale. Die für das Franchising
typische Arbeitsteilung zwischen “oben” und “unten” ist installiert. Die Waren-
und Informationsströme laufen in bewährten Bahnen. Der bei jedem neuen System
unumgängliche Optimierungsprozess der Organisation ist weitgehend abgeschlossen.
Da operativ kein Unterschied zwischen einer Filiale und einem Franchise-Betrieb
besteht, können die FN wie eine Filiale in das Netzwerk eingegliedert werden.
Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass die Franchise-Betriebe von den
Partnern mit eigenem Geld aufgebaut werden, und die FN als Unternehmer einen
gewissen (wenn auch begrenzten) Entscheidungsrahmen beanspruchen. Der FG kann
also im Gegensatz zu den Filialen nicht befehlen. Er muss überzeugen.
Erfolgreiche FG sind stets charismatische Führungspersönlichkeiten. Sinngemäß
gilt dies auch für die Partnerbetreuer. Daher setzen Mischsysteme für den
Kontakt zu den FN spezielle Betreuer ein – sie sind “Missionare”, keine
“Feldwebel”. Neben den allgemeinen Vertriebsmeetings, an denen sowohl die FN als
auch die Filialleiter teilnehmen, gibt es teilweise reine FN-Tagungen. Häufig
entsteht dabei ein Elitebewusstsein der FN, das zu einem (durchaus
konstruktiven) unternehmensinternen Wettbewerb zwischen Filialen und FN führen
kann. Indikator sind gewöhnlich Ergebnisse des Benchmarking.

Leser: Wie erreicht man in einem gemischten
Filial- und Franchise-System, dass die gewünschten Synergien deutlich die
Reibungsverluste übertreffen?

Hubertus Boehm: Teilweise ist Ihre
Frage inzwischen sicherlich beantwortet. Die Synergie liegt (wie bereits
ausgeführt) in der breiteren Marktabdeckung. Einerseits weil das Mischsystem
auch Standorte abdecken kann, die einem Filialsystem verschlossen sind,
anderseits, weil die Kapitalkraft und der Goodwill eines bekannten Filialisten
Zugang zu Standorten ermöglichen, die einem (möglicherweise noch weniger
bekannten) FG nicht zugänglich sind. Dies gilt insbesondere für Einkaufszentren,
große Bahnhöfe, Flughäfen, wo das Renomée des Vertragspartners ausschlaggebend
für den Zuschlag ist. Verglichen mit diesen Vorteilen dürften eventuelle
Reibungsverluste oder der Mehraufwand durch gespaltene Organisation eine
untergeordnete Rolle spielen. Für diese These spricht auch, dass sich viele der
großen und erfolgreichen Franchise-Systeme im Laufe der Zeit zu Mischsystemen
entwickelt haben.

Leser: Vielen Dank für Ihre detaillierte
Antwort. Unternehmen wie Yves Rocher oder Swarovski haben zuerst über ihre
eigenen Filialen eine attraktive und bekannte Marke aufgebaut. Ist dies der
Königsweg für ein erfolgreiches Franchise-System?

Hubertus Boehm: Wenn man die
Kapitalkraft hat, ist das sicherlich eine gute Strategie. In diesem Fall ist ja
auch die Attraktivität der angebotenen “schlüsselfertigen Existenz” für den FN
höher. Der Erfolg des Geschäftsmodells ist auf breiter Basis bewiesen (nicht nur
in einem einzigen Pilotbetrieb), die Marke ist bereits bekannt, und die
Organisation “steht”. Das Risiko ist geringer. Aber wie viele erfolgreiche reine
Franchise-Geber bewieesen haben, geht es auch anders.

Leser: Verlangt ein Mischsystem ein höheres
Maß an Disziplin und Professionalität, um die Unterschiede zu bewältigen? Können
beide Vertriebssysteme in Personalunion geführt werden? Wie lassen sich
ansonsten die m.E. vorprogrammierten Konflikte zwischen den jeweils
Verantwortlichen vermeiden?

Hubertus Boehm: Die Anforderungen
an Disziplin und Professionalität sind sicherlich höher. Beim Stichwort
“Disziplin” denke ich insbesondere an den repektvollen Umgang mit einem
selbstständigen Partner. Hinsichtlich der Professionalität zeigt sich dies in
der Regel v.a. im Handbuch. Nach der Gruppenfreistellungsverordnung der EU (dem
einzigen Quasi-Franchise-Gesetz) muss ein seriöser FG Know-how vermitteln, das
für den Geschäftserfolg des FN wesentlich und zugleich geheim sowie
identifizierbar (also dokumentiert) ist. Wenn es jemals zu einem Rechtsstreit
zwischen FG und FN kommt, wird der Richter neben dem Franchise-Vertrag Einsicht
in das Handbuch verlangen. Aber auch unabhängig von diesem rechtlichen Aspekt
ist ein ausführliches Handbuch für die Schulung und Führung der FN unerlässlich.
Es beschreibt die Philosophie der Kooperation, das Leitbild des Unternehmens,
die Markterschließungsstrategie, das Marktangebot, das Corporate Design, den
Franchise-Betrieb, die Organisation des FN, die Prozesse im Betrieb und im
Netzwerk sowie die Betreuung durch die Zentrale. Eigentlich müsste auch ein
Filialist ein Handbuch haben. Dort wird es in der Praxis gewöhnlich aber
“lockerer gehandhabt”. Der Know-how-Transfer findet weitgehend durch Einweisung
und Training-on-the-job statt – also mündlich. Dies ist durchaus vertretbar,
weil sich alles in ein und demselben Unternehmen vollzieht, und das gesamte
Risiko beim Filialisten selbst liegt. Im Franchise-System “verkauft” dagegen der
FG Gewinnperspektiven an einen Dritten, den FN – teilweise ein Quereinsteiger
ohne Branchenkenntnis. Das Betriebsrisiko liegt in diesem Fall beim FN. Er hat
daher einen Anspruch darauf, dass das für seinen Geschäftserfolg erforderliche
Know-how in größtmöglichem Umfang auf ihn übertragen wird. Insbesondere dafür
zahlt er Gebühren. Die Personalunion besteht in jedem Fall in der Person des
Gründers, d.h. der Unternehmensspitze. Zu seinen Aufgaben gehört es, das
Synergiepotenzial des gesamten Netzwerks zu erschließen und Zentrifugalkräfte zu
minimieren. Dazu gehört auch, dass es ihm gelingt, den durchaus wünschenswerten
Wettbewerb zwischen Filialen und Franchise-Betrieben “sportiv” zu gestalten, so
dass er von allen Seiten positiv gesehen wird. Damit wird zugleich das
Konfliktpotenzial minimiert. Partnerschaft ohne Konflikte ist undenkbar.
Entscheidend ist der Umgang mit Konflikten. Nach Manfred Maus (Gründer von OBI)
ist das Konfliktmanagement die wichtigste Aufgabe des FG.

Leser: Im Gegensatz zu einem Filialunternehmen
müsste doch ein Franchisesystem durch eine Kultur der Selbstständigkeit und
Eigenverantwortung geprägt sein. Wie versöhnt man solche Gegensätze?

Hubertus Boehm: Hinsichtlich der
Unternehmensphilosophie gibt es in einem Mischsystem selbstverständlich
Gegensätze. In der Regel wird man ihnen dadurch gerecht, dass man unterhalb der
Führungsspitze eine Spaltung vornimmt. Der Vertriebsleiter ist zuständig für die
Filialen, der Franchise-Manager für die Betreuung der FN. Dies gilt allerdings
nur für diejenigen Felder, die sich auf den Know-how-Transfer und die
betriebswirtschaftliche Optmimierung des Franchise-Betriebs beziehen. Hier hat
die Franchise-Zentrale die Funktion eines Unternehmensberaters für die FN. Ihre
Vision besteht darin, den FN erfolgreich zu machen und auf Erfolgskurs zu
halten. Auf den rein operativen Feldern wie Marketing, Vertrieb, Logistik
besteht dagegen kein Unterschied. Hier ist für beide Zweige ein und derselben
Organisation zuständig.

Hubertus Boehm: Liebe
Teilnehmer, wie eingangs bereits angekündigt, unterbrechen wir jetzt den Dialog.
Der Chatroom bleibt jedoch bis 12 Uhr geöffnet. Alle bis dahin eingegangenen
Fragen werde ich noch heute Nachmittag beantworten. Ich hoffe auf Ihr
Verständnis.

Leser: Beschäftigt ein Franchisenehmer-Betrieb
im Durchschnitt weniger Personal als eine normale Filiale?

Hubertus Boehm: Ja, das ist so,
zumindest in mittelständischen Franchise-Betrieben. Sie sind gewöhnlich
Familienbetriebe, die Arbeitsspitzen klaglos durch Überstunden oder den Einsatz
von familieneigenen Aushilfen ausgleichen.

Leser: Ist es wirklich nachweisbar, dass ein
Franchisenehmer mehr leistet als ein angestellter Filialleiter? Handelt es sich
dabei nicht um eine Form der Selbstausbeutung?

Hubertus Boehm: Das haben einzelne
Beispiele in der oben erwähnten Dimension bestätigt. Es gibt eben (trotz aller
Incentives) einen großen Unterschiod zwischen eigenem Geld und fremdem
Geld.

Leser: Ich stelle es mir in Mischsystemen eher
schwer vor, die Franchisenehmer davon zu überzeugen, dass im Zweifel nicht die
Eigenbetriebe bevorzugt werden. Wie schafft man das?

Hubertus Boehm: Eine
Ungleichbehandlung ist z.B. bei Handelskonzepten vorstellbar, wenn Handeslware
knapp wird. Dies dürfte in der Regel nur kurzzeitig auftreten. Jeder FG verfolgt
ja mit Franchising langfristige strategische Ziele. Obwohl ihm das “eigene Hemd
näher” ist, wird er sich vor diesem Hintergrund sicherlich fragen, ob ein
vorübergehender Vorteil in der Filiale wirklich die Gefährdung des mühsam
aufgebauten Netzwerks mit selbstständigen Partnern wert ist. Letztlich verdient
er an dem Netzwerk als Ganzes: Filialen und Franchise-Betriebe. Ein weiteres
denkbares Feld für Ungleichbehandlung könnte die Weiterleitung von Anfragen über
die gemeinsame Website sein. Dies ist aber gewöhnlich im Franchise-Vertrag so
geregelt, dass Anfragen aus dem Vertragsgebiet des FN an den FN durchgeroutet
werden. Ausnahmen gibt es meist für überregionale Großkunden. Generell muss aber
sowohl aus dem Vertrag als auch aus dem Verhalten des FG stets klar ersichtlich
sein, dass sich der FG in der Partnerschaft an den Spielregeln der Fairness
orientiert. Zu den markanten Merkmalen des Franchising gehört, dass auf Dauer
keine Seite die andere übervorteilen kann, weil dann zwangsläufig die
Partnerschaft zerbricht. Wenn der FG diese Gedanken offen kommuniziert, müsste
er damit erfahrungsgemäß den FN überzeugen können.

Leser: Anhand welcher Kriterien sollte der
Verantwortliche in einem Mischsystem die Entscheidung treffen, ob für einen
Standort ein Franchisenehmer oder ein angestellter Filialleiter gesucht
wird?

Hubertus Boehm: Strategisch
wichtige Standorte wird man sicherlich mit einer Filiale besetzen. Hier geht es
einerseits darum, diese Plätze auf Dauer zu sichern, und andererseits darum, an
markanten Stellen deutlich “Flagge zu zeigen”. Im Handel bezeichnet man diese
Betriebe ja auch als “Flagship Stores”. Franchise-Nehmer eignen sich besonders
für die Erschließung des Marktpotenzials in der Breite. Wie bereits erwähnt
können unter Umständen durch FN auch Standorte erschlossen werden, die für ein
Filialsystem Grenzstandorte sind. Der Effekt der Netzverdichtung durch
Franchising ist für Filialisten besonders deshalb attraktiv, weil diese
Strategie trotz der Hebelwirkung nur mit relativ geringen Investitionen
verbunden ist.

Leser: Welche Voraussetzungen muss ein
angestellter Filialleiter aus Ihrer Sicht in einem Mischsystem erfüllen, wenn er
an einem Wechsel in die unternehmerische Selbstständigkeit interessiert ist?
Sollte das Unternehmen seine Angestellte bei der Auswahl bevorzugen oder ihnen
sogar finanziell unter die Arme greifen?

Hubertus Boehm: In einem
Mischsystem sind die Aufstiegschancen von Filialleitern in die Rolle eines FN
eine interessante Perspektive. Andere Entwicklungschancen sind im selben
Unternehmen ja kaum gegeben. Für das Unternehmen ist die Weiterentwicklung eines
Filialleiters zum FN ebenfalls interessant, weil die Persönlichkeitsstruktur des
zukünftigen Partners bekannt ist, der mit Schulung verbundene Aufwand und
Zeitbedarf entfällt. Das Risiko des Fehlschlags ist darüber hinaus geringer.
Unter diesen Umständen werden häufig Filialleiter auch in der Finanzierung
unterstützt, was nach der reinen Lehre dem Prinzip des Franchising widerspricht.
Vereinzelt gründen Filialisten für den Betrieb des künftigen FN eigene
Trägergesellschaften, deren Anteile dann sukzessive auf den FN übertragen
werden. In diesem Zusammenhang mag es aufschlussreich sein, dass angeblich
McDonald’s in Deutschland gegenwärtig nur noch mit Partnern aus den eigenen
Reihen expandiert.

Leser: Ist es organisatorisch einfacher, ein
Filialsystem in ein Franchise-System oder in ein Mischsystem umzuwandeln? Wo
liegen jeweils die Hürden?

Hubertus Boehm: Die Umwandlung
eines Filialsystems in ein Mischsystem durch “Privatisierung” von Filialen ist
gängige Praxis. Ich kann keine Hindernisse erkennen, diesen Prozess so weit
fortzuführen, bis nur noch wenige Demonstrations- oder Experimentierbetriebe als
Filialen bestehen. Selbstverständlich erfordert dies von der Unternehmensleitung
eine grundlegenede Änderung der Unternehmensphilosophie. Der Umwandlungsprozess
kann nur dann gelingen, wenn der Inhaber des Unternehmens sich uneingeschränkt
zur Ethik der Franchise-Partnerschaft bekennt und im Franchising eine
langfristige Strategie sieht. Dieser Weg kann aber kein Ersatz für einen
Ausstieg aus dem Unternehmen sein. Gerade ein Franchise-System erfordert vom
Gründer uneingeschränktes Engagement.

Leser: Guten Morgen Herr Dr. Boehm und alles
Gute an Ihre Nachbarin! Wo sehen Sie jeweils die Vor- und Nachteile eines
Franchisesystems, Filialsystems und Mischsystems?

Hubertus Boehm: Diese Frage hatte
ich bewusst ein bisschen zurückgestellt, weil ich den Eindruck hatte, dass sie
durch meine Antworten zu den übrigen Fragen weitgehend beantwortet ist. Falls
dies nicht der Fall ist, bitte ich Sie um ein Mail oder einen Anruf. Dann gehe
ich gerne näher darauf ein.

Leser: Kann es mir passieren, dass der
Franchisegeber nach Ablauf des Vertrages mein Geschäft für „einen Appel und ein
Ei“ übernimmt, nachdem ich die ganze Aufbauarbeit geleistet habe? Wie schütze
ich mich gegebenenfalls davor?

Hubertus Boehm: Der Betrieb gehört
Ihnen und kann Ihnen vom FG nicht genommen werden. Der FG kann lediglich
verlangen, dass Sie das Corporate Design entfernen und auf den Einsatz
urheberrechtlich geschützter systemtypischer Tools verzichten. Soweit nicht der
Franchis-Vertrag ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vorsieht, können Sie
Ihr Geschäft unter eigenem oder anderem Namen fortführen. Nimmt der FG das
Wettbewerbsverbot in Anspruch, muss er Ihnen jedoch eine angemessene
Entschädigung zahlen. Schwieriger ist der Fall, wenn der FG Hauptmieter ist und
mit Ihnen lediglich einen Untermietvertrag abgeschlossen hat. In diesen Fällen
entspricht die Laufzeit des Untermietvertrags gewöhnlich der Laufzeit des
Franchise-Vertrags. Allerdings können Sie auch dann mit dem erworbenen Know-how
(das kann Ihnen ja niemand nehmen) an anderer Stelle tätig werden.

Leser: Wie sichere ich mich als künftiger
Franchisenehmer ab, dass ich es bei einem Franchise-Geber (nicht im DFV) mit
einem seriösen Vertreter seiner Zunft zu tun habe?

Hubertus Boehm: Die Entscheidung
für einen bestimmten Franchise-Geber hat genauso eine Tragweite wie die
Entscheidung für einen Ehepartner. In der Regel macht man das nur ein Mal im
Leben. Unter diesen Umständen versteht es sich von selbst, dass man die
Entscheidung in Ruhe reifen lässt und in dieser Zeit alle Informationen sammelt,
die man überhaupt nur bekommen kann. So entsteht dann aus Mosaiksteinen ein
Bild. Nach den allgemein geforderten Grundsätzen der “vorvertraglichen
Aufklärung” muss Ihnen der FG einen weitgehenden Einblick in sein
Geschäftskonzept, das Handbuch als Spiegelbild des Know-hows, den Vertrag und
auch die betriebswirtschaftlichen Daten typischer Standorte geben. Bei der
Überprüfung konnen und sollten Sie sachkundige Fachleute hinzuziehen. Darüber
hinaus sollten Sie mehrere FN des FG eigener Wahl interviewen. Falls der FG dem
nicht zustimmt, kann das ein Signal für besondere Vorsicht sein. Letztlich
sollten Sie bei der Bewertung Ihres künftigen FG dieselben Maßstäbe anlegen, die
auch beim DFV für die Aufnahme neuer Mitglieder gelten.

Leser: Ich verstehe nicht, warum sich auch
seriöse Vertreter der Franchise-Branche gegen ein spezielles Franchise-Gesetz
sträuben. Sicher muss nicht immer alles reglementiert werden, doch geht es hier
um die wirtschaftliche Existenz von Menschen. Bietet der Ethik-Kodex des
Franchise-Verbandes den Gründern wirklich ausreichend Schutz? Ich bin sicher,
dass Sie auch als Nichtjurist dazu eine fundierte Meinung haben.

Hubertus Boehm: Ein
Franchise-Gesetz würde zweifellos den Grundsätzen des Mieterschutzrechts
entsprechen. In beiden Fälle geht es ja darum, sozial Schwächere zu schützen.
Wie sich aber beim Mietrecht gezeigt hat, können sehr weitreichende
Schutzvorschriften auch dazu führen, dass auf der anderen Seite (im Fall des
Franchising bei den Franchise-Gebern) die Attraktivität der Geschäftsbeziehung
schwindet. Das kann nicht im Interesse der Volkswirtschaft und der Gesetzgebung
liegen. Franchising “produziert” und sichert mittelständisches Unternehmertum.
Gerade der Mittelstand ist das innovativste und stabilste Segment der
Wirtschaft. Es könnte durch übermäßige Schutzvorschriften behindert werden.
Andererseits ist ein Franchise-Nehmer im Gegensatz zu einem Mieter ein
Unternehmer oder zumindest potenzieller Unternehmer. Von ihm kann man
unternehmerisches Denken verlangen und die Übernahme von Risiken. Auch wenn der
Schutz des sozial Schwächeren hier grundsätzlich geboten ist, muss wohl doch ein
anderer Maßstab angelegt werden als z.B. im Mietrecht. Generell ist davon
auszugehen, dass der Ethik-Kodex des DFV inzwischen auch zum Gedankengut der
Richter geworden ist. Da Gerichte in Franchise-Fragen ohnehin weitgehend nach
dem Grundatz von “Treu und Glauben” entscheiden, dürfte der Kodex indirekt zum
Bestandteil unseres Rechtssystems geworden sein.

Hubertus Boehm: Liebe
Teilnehmer, aus besonderem Grund verlief der Chatroom heute etwas anders als
gewohnt. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld und hoffe, dass ich Ihnen einige
nützliche Anregungen geben konnte. Mit herzlichen Grüßen, bis zum nächsten Mal,
Ihr Hubertus Boehm

Dr. Hubertus Boehm
SYNCON Consulting GmbH

Dr. Hubertus Boehm ist seit 1972 auf die Entwicklung von Franchise-Systemen spezialisiert und gehört auf diesem Gebiet zu den Pionieren im deutschsprachigen Raum.

Erhalten Sie Experten-Knowhow im Newsletter!