Ratgeber & Podcast

für Franchisezentralen

Gemischte Filial- und Franchise-Systeme

Hubertus Boehm: Liebe
Teilnehmer, die sonnigen Oktobertage sind vorüber. Es wird dunkler und kühler.
Das ist die richtige Zeit, um sich etwas eingehender mit lange geplanten
Projekten zu beschäftigen. So geht es wohl auch Ihnen. Sicherlich haben Sie
interessante Fragen. Ich bin gespannt. Ihr Hubertus Boehm

Leser: Guten Morgen Herr Dr. Boehm: Wo sehen
Sie die Vorteile eines gemischten Franchise- und Filialsystems, die dann einen
Erfolg auf zwei Standbeinen ermöglichen?

Hubertus Boehm: Gemischte
Filial-Franchise-Systeme haben zwei Quellen: Einerseits Filialisten, die ihr
Netz verdichten (insbesondere in potenzialschwächeren Regionen) oder ins Ausland
expandieren. Andererseits erfolgreiche Franchise-Geber, die mit Filialen
besonders wichtige und markante Standorte belegen, um die Wertschöpfung zu
erhöhen oder mit “Flagship-Stores” Flagge zeigen wollen. In beiden Fällen hat
der System-Geber eine starke Kapitalbasis, die es ihm erlaubt, die für
nachhaltiges Franchising notwendige Infrastruktur aufzubauen, die
Franchise-Nehmer intensiv zu betreuen und die weitere Expansion systematisch
voranzutreiben.

Leser: Hallo Hr. Boehm. Eine Franchise-Regel
sagt anscheinend, dass man mindestens einen eigenbetriebenen Betrieb braucht.
Ist das nicht zu wenig, wenn das Netzwerk wächst?

Hubertus Boehm: Eigentlich versteht
es sich von selbst, dass ein Franchise-Geber sein Geschäftsmodell zunächst auf
eigenes Risiko ausprobiert und zur “Serienreife” optimiert – also in Filialen.
Er kann ja keine Experimente mit dem Geld anderer Menschen machen! Um den
Einfluss des Standorts und / oder der Peron des Filialleiters auf den
Geschäftserfolg auszuschließen, müssten es mindestens zwei oder drei Filialen
sein. Ein einziger Betrieb ist das absolute Minimum – und das mit Vorbehalt. Mit
der Größe des späteren Franchise-Netzwerks hat das also nichts zu tun. Nach
erfolgreichem Netzaufbau dienen die Filialen weiterhin als Experimentierfeld, da
der Franchise-Geber ja in Anbetracht des überall dynamischen Umfelds sein
Konzept ständig weiterentwickeln muss. Dabei sind Neuerungen jeweils zunächst in
den Filialen zu erproben.

Leser: Sehr geehrter Herr Doktor Boehm: Viele
Franchise-Geber verfügen über ein oder zwei Eigenbetriebe, um dort Konzepte zu
testen und Erfahrungen zu sammeln. Wann spricht man von gemischten
Vertriebssystemen?

Hubertus Boehm: Nein, Pilotbetriebe
bedeuten in meinen Augen noch kein “Mischsystem” oder “Hybridsystem”, sondern
sind wie zuvor dargestellt unabdingbarer Bestandteil eines Franchise-Systems.
Von einem Mischsystem spricht man erst dann, wenn ein Franchise-Geber (FG) aus
Gründen der Markterschließung, Markenpräsenz oder Kapitalanlage Filialen in das
Franchise-System integriert oder ein Filialist Franchise-Betriebe in sein
Filialnetz eingliedert.

Leser: Warum sollte ein Filialist Betriebe an
Franchise-Nehmer übergeben, wo seine Marge in den Filialen doch deutlich höher
sein dürfte?

Hubertus Boehm: Ein Filialist
“privatisiert” in der Regel vorwiegend “Grenzbetriebe”, die als Filialen nicht
mehr tragbar sind, sich aber unter der Führung eines Franchise-Nehmers (FN) noch
“rechnen”. Grundlage ist die Erkenntnis, das ein FN als selbstständiger
Unternehmer erfahrungsgemäß etwa 10 % mehr Umsatz erzielt, den Rohgewinn um etwa
15 % steigert und nur rund 50 % der Inventurdifferenz hat. Andererseits kann der
Filialist unter demselben Aspekt auch potenzialschwache Gebiete erschließen, die
er mit Filialen nicht erreichen könnte.

Leser: Kommt es vor, dass ein Mischsystem nur
während einer Übergangsphase – z.B. im Rahmen einer Konversion in die eine oder
andere Richtung – besteht?

Hubertus Boehm: Nur in
Ausnahmefällen kommt es vor, dass aus Mischsystemen entweder reine
Franchise-Systeme oder Filial-Systeme werden. Anlass ist z.B. die Übernahme
eines Franchise-Systems durch einen Konzern, der aus Gründen der
Marktdurchdringung und -stringenz künftig nur mit eigenen Vertriebsstellen
arbeiten will. Andererseits ist es denkbar, dass der System-Geber eines
gemischten Netzwerks in größerem Umfang Filialen privatisiert, um Kapital für
andere Projekte frei zu machen oder sich allmählich aus einer Branche zurück zu
ziehen. In jedem Fall ist es ein langfristiger Prozess, weil Franchise-Verträge
in der Regel eine Laufzeit von mindestens zehn Jahren haben (bei größeren
Vertriebseinheiten auch 20 Jahre) und grundsätzlich unkündbar sind.
Einvernehmliche Vereinbarungen sind natürlich möglich, kosten oft aber viel
Geld.

Leser: Lieber Herr Dr. Boehm, welche
Strukturen in einem Mischsystem können sowohl vom Franchise- als auch vom
Filialsystem genutzt werden? Welches Einsparungspotenzial eröffnen diese
Synergien?

Hubertus Boehm: Das ist ja gerade
der Vorteil von Mischsystemen, dass man allein für das Filialnetz eine perfekte
Infrastruktur mit bewährten Tools und Prozessen braucht. Für einen Filialisten
ist es ab einer gewissen Größe selbstverständlich, dass er ohne diese
Voraussetzungen nicht gewinnversprechend operieren kann und den Verlust seines
Kapitals riskiert. Von diesen Ressourcen profitieren die angeschlossenen FN.
Nahezu alles ist sowohl für Filialen als auch für Franchise-Betriebe nutzbar.
Der Unterschied der Kanäle besteht lediglich im Führungsstil. Wo Filialen durch
Direktiven gesteuert werden, braucht man bei FN Überzeugung durch kooperative
Führung.

Leser: Beruhen die von Ihnen genannten Zahlen
auf verschiedenen Branchen? Sind sie durch eine größere Fallzahl abgesichert
oder handelt es sich um eine subjektive Einschätzung?

Hubertus Boehm: Natürlich können
die Zahlen 10 % / 15 % / 50 % nur Einzelfälle sein, denn solche Erkenntnisse
werden ja nicht publiziert. Sie sind in der Regel Geschäftsgeheimnisse. Außerdem
kommt die “Privatisierung” von Filialen nicht so häufig vor, dass man unter
statistischen Aspekten von einer “großen Zahl” sprechen könnte. Gespräche mit
Filialisten haben allerdings diese Größenordnung bestätigt.

Leser: Sehen Sie einen Trend zu gemischten
Filial- und Franchise-Systeme? Wie hoch schätzen Sie den Anteil ein?

Hubertus Boehm: Sowohl Filial- als
auch Franchise-Systeme expandieren – national und international. Damit wächst
natürlich auch der Umfang der Mischsysteme. Einen generellen Trend in die eine
oder andere Richtung kann ich nicht erkennen. Auch über den Anteil lässt sich
nichts sagen, da Filial- und Franchise-Betriebe nicht in Statistiken geführt
werden.

Leser: Welche Voraussetzungen muss ein
Filialist erfüllen, um sein Filialsystem erfolgreich in ein Franchisesystem
umwandeln zu können? Mit welchem Aufwand lässt sich die Umwandlung von einem
Filialsystem in ein Franchisesystem – oder auch umgekehrt – bewerkstelligen?

Hubertus Boehm: Unabdingbare
Voraussetzung für die Konversion in ein Franchise-System ist das langfristig
ausgerichtete Bekenntnis zur Zusammenarbeit mit einer größeren Zahl
selbstständige Individuen – ohne “Befehlsgewalt”. Die Steuerung eines
Franchise-Systems bedeutet permanentes Konfliktmanagement. Das gilt allerdings
für jede Partnerschaft. Der Aufwand einer Konversion vom Filial- zum
Franchise-System ist relativ gering, weil (wie schon dargelegt) ja bereits alles
vorhanden ist, was man braucht. Voraussetzung ist natürlich ein charismatischer
“Kopf”. Der Aufwand für die Umwandlung eines Franchise-System in ein
Filial-System ist wesentlich größer. Das gilt insbesondere in finanzieller
Hinsicht, weil die Betriebe der FN zu übernehmen oder ersatzweise neue Betriebe
zu errichten sind.

Leser: Verursacht die interne Konkurrenz
zwischen Franchise-Betrieben und unternehmenseigenen Filialen nicht auf beiden
Seiten Irritationen? Oder wird die Konkurrenzsituation u.a. dadurch entschärft,
dass man die Gebiete voneinander abgrenzt und für ein unterschiedliches
Sortiment sorgt?

Hubertus Boehm: Soweit in ein
bestehendes Franchise-System nachträglich Filialen integriert werden, und die FN
über diese Doppelstrategie zuvor nicht informiert waren, mag es durchaus zu
Irritationen kommen. Sie sind in der Regel aber durch vertrauensbildende
Aufklärung zu beheben. Wichtig ist natürlich, dass aggressive systeminterne
Konkurrenz durch die Abgrenzung von Vertriebsgebieten unterbleibt.
Unterschiedliche Sortimente erscheinen nicht sinnvoll, weil dann jedes Sortiment
nur in einem Teil des Marktes angeboten würde. In der Praxis hat der Wettbewerb
der Kanäle häufig einen “sportlichen Charakter”. Die FN betrachten sich dann
gewöhnlich als “Elite” und trachten danach, in Betriebsvergleichen mit den
besseren Zahlen aufzutrumpfen. Das ist motivierend für beide Kanäle.

Leser: Inwieweit muss der Franchise-Geber im
Rahmen der vorvertraglichen Aufklärung auch über parallele Vertriebswege
informieren? Ich denke dabei nicht nur an ein paralleles Filialsystem, das einem
Kandidaten rechtzeitig auffallen müsste. So kann beispielsweise die Vermarktung
von Standardprodukten durch den Franchise-Geber über das Internet für
Franchise-Nehmer sehr nachteilig sein, wenn sie bewusst nicht in das
Internetkonzept eingebunden werden.

Hubertus Boehm: Selbstverständlich
ist die Information über weitere Vertriebswege unabdingbarer Bestandteil der
“Vorvertraglichen Aufklärung”. Das gilt natürlich auch für den Internetvertrieb.
Mit der zunehmenden Akzeptanz des Internet ist inzwischen bei vielen
Franchise-Systemen der Webshop eine branchenübliche Ergänzung der klassischen
Vertriebswege. Für die früheren FN mag das vielleicht ein Problem sein, neue FN
müssen dies als zeitgemäße Absatzstrategie akzeptieren. In der Regel werden
Anfragen an den regional jeweils zuständigen FN weitergeleitet. Für
Webshopumsätze aus seiner Region sollte er eine Provision erhalten. Durch die
Präsentation der FN-Betriebe im Netz wird eine “Brücke” der Vertriebswege
hergestellt – mit deutlichen Synergiewirkungen. Das Thema “Webshop” ist
allerdings offenbar kartellrechtlich brisant. Darüber müssen Sie aber mit Ihrem
Franchise-Anwalt sprechen.

Leser: Würden Sie in Zeiten rückläufigen
Gründungsinteresses gezielt Filialleiter ansprechen? Evtl auch aus
konkurrierenden Filialsystemen?

Hubertus Boehm: Ja, warum nicht?
Die Filialleiter wissen, worum es geht, und sie wissen, mit wem sie es zu tun
haben. Außerdem dürfte dann der Schulungsaufwand geringer sein.

Leser: Kann Franchising von Filialisten
ausschließlich zur internationalen Expansion eingesetzt werden? Fehlt dann nicht
wesentliches Know-how aus dem Herkunftsland?

Hubertus Boehm: In einem neuen
Markt sollte auch der Filialist zunächst mit einem oder mehreren
Pilotbetrieb(en) starten, um das Konzept an die nationalen Gegebenheiten
anzupassen. Danach kann dann die Franchise-Expansion erfolgen, direkt von der
Unternehmenszentrale oder von einer Tochtergesellschaft im Land aus. Denkbar ist
auch ein zweistufiges Franchising über einen Master-Franchise-Nehmer (MFN) im
Land. Dann nimmt der MFN zunächst mit Filialen die Anpassung vor und
multipliziert dann über Franchising. Einfluss und Wertschöpfung des Filialisten
sind bei dieser Variante natürlich geringer.

Leser: Warum gibt es in Deutschland kaum
Franchise-Angebote, die sich mit den Tätigkeitsfeldern freier Berufe befassen,
z.B. Rechtsanwälte, Ärzte, Apotheker? Aus den USA sind mir solche Systeme
durchaus bekannt. Liegt es an unserem antiquierten Standesrecht?

Hubertus Boehm: Die gibt es
durchaus, nur verwenden sie häufig nicht den Begriff “Franchising”. Auffällig
sind insbesondere immer weiter expandierende Apothekenketten. Ärzte schließen
sich im Bereich der Selbstzahlerleistungen (IGeL) Franchise-Systemen an. Auch
Rechtsanwälte und Steuerberater treten zunehmend unter lizenzierten Marken auf.
Ein typisches Beispiel ist ETL, ein sehr großer Verbund von Steuerberatern in
Europa.

Leser: Ich bin in der Literatur auf eine
Franchise-Variante gestoßen, die auf komplementäre Fähigkeiten der einzelnen
Partner setzt. Leider habe ich dazu keine weiteren Informationen gefunden.
Können Sie mir zufällig ein Franchise-System nennen, das auf komplementärem
Franchising basiert?

Hubertus Boehm: Was meinen Sie mit
“komplementär”?

Leser: Auf dieser Website habe ich Systeme
entdeckt, die sowohl Franchise-Lizenzen als auch einfache Vertriebslizenzen
anbieten. Ich nehme an, dass es von den Anforderungen und Ressourcen des
Kandidaten abhängt, welches Angebot den Zuschlag erhält. Macht ein solches
Vorgehen für Franchise-Geber Sinn?

Hubertus Boehm: Mir fehlt das
Verständnis für den Sinn des zweigleisigen Angebots. Offenbar geht es um
möglichst schnelle Expansion. Aber danach gibt es ein gespaltenes System.
Vorstellen könnte ich mir allenfalls, dass die “Softvariante” als Einstieg in
das eigentliche Franchise-System gedacht ist – eine Art “verlängerte Probezeit”.

Leser: Es soll Franchisesysteme geben, die
ihre Partner aufgrund komplementärer Fähigkeiten, Kenntnisse oder Erfahrungen
auswählen. Eine Partnerschaft wirklich auf Augenhöhe!

Hubertus Boehm: Nach meinem
Verständnis ist das kein Franchising, sondern eine synergetische “horizontale”
Kooperation. Ein Franchise-System ist immer vertikal strukturiert. Der FG hat
ein marktgerechtes Geschäftsmodell entwickelt und erprobt und ermöglicht seinen
FN, dieses Konzept vor Ort in gleicher Weise umzusetzen. Im Interesse des
einheitlichen Marktauftritts hat er die Systemhoheit und Durchsetzungsbefugnis.
Dies ist hinsichtlich des Geschäftskonzepts keine “Augenhöhe”.

Leser: Ich habe noch ein akutes Problem:
Sollte ich als FG Standortanalysen selbst vornehmen oder sie dem FN überlassen,
um keine Haftungsrisiken einzugehen? Danke

Hubertus Boehm: Natürlich müssen
Sie dem FN Werkzeuge an die Hand geben und die Vorgehensweise empfehlen.
Außerdem benötigt er Erfahrungswerte aus vergleichbaren Betrieben – am besten
mit Testat eines Steuerberaters. Durchführen sollte der FN die Analyse
allerdings selbst. Einerseits aus den von Ihnen genannten Haftungsgründen,
andererseits, um sich mit seinem künftigen Markt vertraut zu machen.

Hubertus Boehm: Liebe
Teilnehmer, das waren wieder einmal interessante Fragen! Der Dialog mit Ihnen
hat mir Freude gemacht. Danke, dass Sie dabei waren. Bis zum nächsten Mal,
herzlich-herbstliche Grüße, Ihr Hubertus Boehm

Dr. Hubertus Boehm
SYNCON Consulting GmbH

Dr. Hubertus Boehm ist seit 1972 auf die Entwicklung von Franchise-Systemen spezialisiert und gehört auf diesem Gebiet zu den Pionieren im deutschsprachigen Raum.

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