Hybrid-Systeme – häufiger als gedacht
Manchmal entsteht aus dem Zusammenfügen ungleicher Teile ein starkes Ganzes. Das gilt für die Synthese komplementärer Stärken beim arbeitsteiligen Verbund innerhalb eines Franchise-Systems. Es kann aber auch in der Kombination von Filialen und Franchise-Betrieben bei der flächendeckenden Markterschließung gelten – und ist genau genommen allgemein üblich.
Strategisch und operativ besteht ja auch kein Unterschied zwischen einer Filiale und einem Franchise-Betrieb. Beide Formen treten im Markt einheitlich auf, bieten das selbe Leistungsprogramm oder Sortiment, betreiben identisches Marketing, arbeiten mit denselben Prozessen und sind an eine einheitliche Logistik angebunden. Der einzige Unterschied sind die Eigentumsverhältnisse . Funktional betrachtet ist daher das Filialsystem der Urtyp des Franchising: eines Netzwerks in Handel und Dienstleistung. Bei der nahen Verwandtschaft ist das Entstehen von Mischformen naheliegend.
Grundsätzlich beginnt jeder seriöse Franchise-Geber als kleiner Filialist : mit Pilotbetrieben in eigener Regie. Er muss ja auf eigenes Risiko beweisen, dass sein Geschäftsmodell marktgerecht ist, und stabile Gewinne zu erwarten sind. Viele Franchise-Geber haben nur einen einzigen Pilotbetrieb. Angemessen sind jedoch mindestens zwei bis drei, um den Einfluss von Standort und Filialleiter zu nivellieren.
Somit ist also jedes Franchise-System in der Geburtsphase zunächst einmal ein Filialsystem. Da man die Pilotfilialen gewöhnlich zur Weiterentwicklung des Systems oder als Trainingsinstitution in eigener Regie beibehält, ändert sich daran auch später nichts. Für den Franchise-Geber bietet die Fähigkeit zur Führung von Filialen den Vorteil , dass er beim Ausfall eines Franchise-Nehmers durch Tod, Krankheit, fristlose Kündigung oder Vertragsablauf das Franchise-Geschäft weiterführen und so wichtige Standorte sichern kann.
In eigener Regie geführte Pilotbetriebe bedeutet zwar im Prinzip ein Hybrid-Modell. Von einem echten Mischsystem kann man aber erst dann sprechen, wenn der Filialanteil bedeutend ist. Solche Systeme haben andere Quellen. Es sind:
- kapitalstarke Franchise-Geber
- Investoren
- Filialisten
- Hersteller
- Premiumlabels
- feinmaschige Netzwerke.
Ein sehr erfolgreicher Franchise-Geber steht irgendwann vor der Frage, wo er sein Kapital investieren soll. Die Anlage in der eigenen Kette ist der logische Weg. Hier erzielt er eine hohe Rendite und hat sein Kapital bei hoher Transparenz voll im Griff . Beispiele für diese Konstellation sind die großen weltweit operierenden Restaurantketten.
Einen ähnlichen Ansatz, wenn auch mit anderem Einstieg, verfolgen Investoren. Wegen der hohen Aufwendungen für Due Dilligence und laufendes Controlling liegt das Minestinvestionsvolumen gewöhnlich bei 5 Millionen EURO. Solche Summen sind nur unterzubringen, wenn neben Franchise-Betrieben auch Filialen errichtet werden. Zudem vermittelt der Filialanteil der Investoren auch das beruhigende Gefühl, nicht nur an Kooperationsverträgen, sondern auch an Substanzwerten beteiligt zu sein.
Für Filialisten ist Franchising ausgesprochen charmant. Da der Franchise-Nehmer mit eigenem Geld arbeitet, schmerzt es erheblich, wenn es nicht läuft. Hat er sein Geschäft, wie bei Existenzgründern üblich, mit hohem Fremdkapitalanteil finanziert, kommt der Druck der Bank hinzu. Andererseits hat er gewöhnlich erhebliche Expansionschancen. So wirken Push und Pull in einem gleichgerichteten Doppeleffekt. Er liefert in der Regel bessere Ergebnisse . Etwa 10 Prozent mehr Umsatz und 15 Prozent mehr Rohgewinn im Handel sind durchaus möglich. Auch Warenschwund und Ausschuss können drastisch sinken. So können Franchise-Nehmer dort noch leben, wo sich eine Filiale nicht mehr rechnet. Ein Filialist kann daher mit Franchising erfolgsschwache Filialen unter bestimmten Voraussetzungen wieder erfolgreich machen sowie sein Netz in potenzialschwache Gebiete ausdehnen.
Hinzu kommt, dass bei einem etablierten Filialsystem ja (zumindest im Ansatz) schon fast alles vorhanden ist, was ein Franchise-System ausmacht : bewährter Geschäftstyp, eingeführte Marke, definierte Prozesse, leistungsfähige Zentrale, effiziente Logistik und professionelle Standortsteuerung mit Vertriebscontrolling. Was fehlt, ist im Allgemeinen nur noch ein Zusammenstellen weitgehend existierender Module in einem Handbuch, ein Franchise-Vertrag und ein Partnermanager. Er erfüllt die zusätzlich anfallenden Aufgaben der Partnerrekrutierung und –betreuung als Betriebsberater – ist letztlich Erfolgsdienstleister.
Mischsysteme von Herstellern gibt es seit Erfindung des Franchising. Die ersten Franchise-Geber waren Hersteller: FORD, SINGER und COCA-COLA. Auch heute nach rund 120 Jahren prägen Franchise-Systeme den Fahrzeugmarkt. Letztlich betreiben alle Autohersteller Franchising, auch wenn sie es nicht so nennen. Aber wichtige Standorte führen sie oft in eigener Regie als Filialen. Dieses Vertriebsmodell wird von der Industrie auch in anderen Branchen angewandt. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass Hersteller in einem Mischsystem einzelne Franchise-Betriebe an wichtigen Standorten übernehmen, weil sie den Vertrieb stringenter steuern wollen. Dies geschieht aus strategischen Gründen und ändert nichts am grundsätzlichen Konzept des Mischsystems.
Eine Hybrid-Strategie verfolgen auch Anbieter von Premiumlabels. Der Verkauf in der Fläche geschieht durch Franchise-Nehmer, aber an den Ballungszentren der anspruchsvollen Zielgruppe entstehen „Flagshipstores“ als Filialen . Sie sind häufig nicht profitabel, sorgen aber für Marktpräsenz und Imageaufbau – sind Teil des Marketing.
Manchmal ist auch die Notwendigkeit eines marktweiten Netzwerks von Anfang an Anlass für ein Mischsystem. Dies gilt zum Beispiel in der Logistik oder bei der Autovermietung. Hier ist ausgehend von einem grobmaschigen Filialsystem ein annähernd gleichzeitiger Start eines flächendeckenden feinmaschigen Netzes oft nur mit Hilfe selbstständiger Partner möglich.
Aus Sicht der Franchise-Nehmer haben Mischsysteme durchaus Vorteile. Hier ist der Franchise-Geber in seiner Rolle als Filialist auf Dauer auch selbst an der Front aktiv tätig. Er hat deshalb einen unmittelbaren Kontakt zu den Kunden, kann so die Führung und Weiterentwicklung des Systems marktnah betreiben und hat zugleich mehr Verständnis für die Belange der Franchise-Nehmer. Davon abgesehen hat in der Praxis der filialisierende Franchise-Geber gewöhnlich eine wesentlich stärkere Kapitalbasis. Sie erlaubt es ihm, eine leistungsfähige System-Zentrale aufzubauen. Diese Ressourcen kommen auch den Franchise-Nehmern zugute. Insofern sind Mischsysteme oft professioneller aufgestellt und leistungsfähiger als (zumindest kleine) Franchise-Systeme, die teilweise die Unterstützung des Franchise-Nehmers aus Kapitalgründen vernachlässigen. Da Mischsysteme finanziell weniger abhängig von der Partnergewinnung sind und aufgrund ihrer Kapitalkraft und Marktgeltung leichter hochqualifizierte Führungskräfte gewinnen können, sind sie häufig stabiler als reine Franchise-Systeme.
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