Innovieren von Franchisesystemen
Guten Morgen liebe Chat-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer. Gerne möchte ich mit Ihnen über das Innovieren von Franchisesystemen und überhaupt über Neuerungen im Franchising diskutieren. Ihre Veronika Bellone
Leser: Guten Tag Frau Prof. Bellone: Mit welchen Maßnahmen kann die Innovationsrate im Franchising erhöht werden? Gibt es dafür irgendwelche Patentrezepte?
Guten Morgen, lieber Chat-Teilnehmer. In jedem Fall sollte es einen “Radar” im Franchisesystem geben, um die Trends und anderweitigen Markteinflüsse aufzunehmen und auf Relevanz für die eigene Branche zu überprüfen.
Leser: Liebe Frau Prof. Bellone, welche Innovationen in Franchise-Systemen haben Sie in jüngster Zeit am stärksten beeindruckt?
Als “Science-Fiction-Fan” bin ich beeindruckt, wie Robotik, KI (Künstliche Intelligenz) und überhaupt Automatisierung wie Digitalisierung von (Franchise-)Unternehmen adaptiert werden.
Leser: Hallo Frau Professor Bellone: Sehen Sie bei Produkten und Dienstleistungen, Prozessen oder datenbasierten Entscheidungen in Franchise-Systemen das größte Innovationspotenzial?
Damit haben Sie bereits die ganze Spannweite für Innovationen genannt. Eine Dimension kommt allerdings hinzu und das ist der Mensch. Die Innovationsbereitschaft fängt hier an oder wird hier versperrt.
Leser: Guten Morgen, Frau Professor. Wie lässt sich ein Radar oder eine Art Frühwarnsystem in der Systemzentrale etablieren, um Unternehmensstrategien künftig zeitnah auf Markt- und Konsumveränderungen einstellen zu können?
Wir arbeiten mit Projektgruppen – sie können diese als Beirat konstituieren. In vielen Systemen gibt es Werbe- und Produktbeiräte. Ich halte es für sehr wichtig, interdisziplinäre Innovationsgruppen zusammenzustellen aus Franchisepartnern und Verantwortlichen der Zentrale. Es geht um verschiedene Perspektiven und realisierbare Neuerungen.
Leser: Welche Megatrends sind bei der Neupositionierung eines Franchisesystems speziell im B2B-Bereich zu beachten?
An erster Stelle natürlich Connectivity – die Vernetzung on- und offline. Individualisierung als Megatrend – also massgeschneiderte, kuratierte Angebote – spielen auch im B2B-Bereich eine grosse Rolle. Und Nachhaltigkeit! Wenn es auch in der Gesellschaft an Brisanz verloren hat, sind die Themen Verantwortung und Nachhaltigkeit wichtige Kriterien, an denen man gemessen wird und auch gesetzliche Auflagen erfährt.
Leser: Könnten Sie uns die spannendsten Beispiele für solche Innovationen geben?
Im asiatischen Raum ist es der Einsatz von Robotern im Alters- und Pflegebereich, Verkauf sowie in der Gastronomie. Hier geht es vor allem um das Substituieren von Services, die auf routinemässigen Abläufen und Prozessen basieren oder die körperlich sehr anstrengend sind. Auch das Henn-na-Hotel in Japan wird überwiegend von Avatar-ähnlichen “Verantwortlichen” geführt – sowohl am Empfang wie auch im restlichen Servicebereich. Im Verkauf sind es verspielte Roboter, die den Einkauf zum Erlebnis machen. Im Medizin- und im Ausbildungsbereich werden zunehmend Touchscreens eingesetzt, weil sie speditiver und eben interaktiv sind. Es gibt viele Beispiele – auch ganz nahe bei. Wenn Sie sich McDonald’s anschauen mit Touchscreens für die Bestellung etc.
Leser: und wie können wir die Offenheit für Innovationen bei unseren Mitarbeitern und Partnern erhöhen?
Wenn Sie den Mitarbeitenden und Partnern die Kompetenz und Mitverantwortung zugestehen, dann entsteht auch das Gefühl von “Geben und Nehmen”. Ein einseitiges Einfordern von Leistungen bzw. einer bestimmten Haltung ist nicht motivierend.
Leser: Sie haben die Spannbreite für Innovationen um den Faktor Mensch erweitert. Sehen Sie in Franchise-Systemen im Unterschied zu anderen Unternehmen einen speziellen Angriffspunkt?
Der Faktor Mensch wird in Franchisesystemen sehr gross geschrieben. In der Mehrzahl sind es Systeme, die von starken Persönlichkeiten entwickelt wurden und die auch beim Ausbau der Organisation weiter involviert sind. Franchisenehmer/innen als Existenzgründer/innen sind persönlich und finanziell sehr stark engagiert. Es gibt also neben der fachlichen Auseinandersetzung auch einen starken emotionalen Druck. Das gibt eine gewisse Grundspannung, die man für die Weiterentwicklung sehr gut nutzen kann. Oder eben nicht!
Leser: Wie kann man die Digitalisierung gezielt zum Innovieren von Franchise-Systemen nutzen? An welchen Stellschrauben würden Sie vorrangig drehen?
Schauen Sie sich Ihre Prozesse im System an (Einkauf, Kommunikation, Controlling etc.) und erstellen Sie eine Schwachstellenanalyse. Wo laufen Informationen nicht zusammen? Wo und in welchem Bereich können Sie wichtige Auswertungen nicht vornehmen, weil Schnittstellen nicht kompatibel sind? Gehen Sie auch hier interdisziplinär vor und ermitteln bereichsübergreifend, wo es Handlungsbedarf gibt. Erst die verschiedenen Perspektiven ermöglichen praxisorientierte Lösungen.
Leser: Der Wirtschaftsstratege Prof. Dr. Kurt Matzler erklärte in seinem Vortrag “INNOVATE OR DIE” auf der diesjährigen Jahrestagung von Mrs.Sporty, dass Europa dabei ist, die digitale Transformation zu verschlafen. Teilen Sie diese Sorge? Kommen Franchisegeber ihrer Verantwortung für Innovationen ausreichend nach?
Kulturell bedingt gibt es bei uns Vorbehalte – das sehe ich auch so. Ich sehe weniger, dass es ein Verschlafen ist. Es ist ein Festhalten an Traditionen, Gepflogenheiten, Rollen und auch an der Komfortzone. Aber je mehr wir uns gegen neue Strömungen stellen – desto eher werden wir einknicken. Da gebe ich Herrn Prof. Dr. Matzler recht.
Leser: In der Franchise-Wirtschaft überwiegen kleinere Netzwerke, die von winzigen Systemzentralen gesteuert werden. Unter welchen Bedingungen können wir bei der digitalen Transformation trotz unserer begrenzten Ressourcen mithalten?
Gerade mit den digitalen Mitteln ist es möglich, sich eine gemeinsame Plattform zu schaffen, auf der man kommuniziert. Kleine Netzwerke haben auch grosse Vorteile – es geht nicht um gross angelegte “Sitzungen” mit Partnern und Mitarbeitenden. Es geht darum, einen Fahrplan aufzustellen mit Aufgaben, Rollenzuschreibungen und Zeitfenstern. Setzen Sie Prioritäten, welchen Bereich Sie zuerst modifizieren wollen und legen Sie Rollen fest. Wer recherchiert beispielsweise; wer ermittelt Schwachstellen in seinem Bereich usw. Nicht alle machen alles, sondern jeder übernimmt eine definierte Aufgabe, deren Ergebnisse dann von anderen beurteilt, bewertet, ergänzt werden. Dafür reichen dann auch sehr begrenzte Zeitfenster. Wichtig sind definierte Prozesse und Kriterien, nach denen vorgegangen wird.
Leser: Welche Branchen werden nach Ihrer Prognose von technologischen Umwälzungen in naher Zukunft besonders betroffen sein?
Alle! Ob Kunst und Kultur, Handel, Weiterbildung, Dienstleistungen allgemein. Es gibt in meinen Augen keine Branche, die unberührt bleibt. Es wird nur immer wichtiger zu ermitteln, ob man sich mit seinem Geschäft in eine totale Transformation hineinbegibt oder den Gegentrend wählt. Das hängt wesentlich von der eigenen Positionierung und den eigenen Möglichkeiten zur Veränderung ab. Nur als ein Beispiel: den Gegentrend zur Automatisierung und Digitalisierung bilden zunehmend Manufakturbetriebe. Dort wird das Echte gesucht, die Story, das Produkt, das “nur für mich gefertigt wird”. Hier setzt die Digitalisierung nicht im Produktionsprozess ein, sondern bei der Vermarktung über die sozialen Medien. Nehmen Sie den Restaurator Lothar Jansen-Greef im Tischlerhandwerk. Er bearbeitet Antikmöbel ganz klassisch. Ist aber der Quotenkönig auf YouTube.
Leser: Wahrscheinlich ist meine Frage hier schon häufiger erörtert worden. Mich würde interessieren, welches für Sie die wichtigsten Erfolgsfaktoren eines Franchise-Unternehmens sind?
Die wichtigsten Erfolgsfaktoren im Franchising, die wir auch in unseren Büchern “Praxisbuch Franchising” und GREENFRANCHISING” publiziert haben, sind u.a.: Es braucht ein gesundes, erprobtes Geschäftskonzept, dessen erfolgsrelevante Leistungen standardisierbar sind, um daraus auch deren Multiplizierbarkeit abzuleiten. Es braucht Wettbewerbsvorteile und um diese zu halten, benötigen Sie eine reflektierte Haltung, d.h. agile Unternehmensführung. Der stetige Austausch mit den Partnern und Mitarbeitenden sowie mit Externen ist wichtig, um den jeweiligen Status Quo zu bestimmen und Anpassungen vorzunehmen. Und ich muss wissen, was ich als Franchisegeber/in erreichen will – eine visionäre und strategische Sicht muss vorhanden sein.
Leser: Welche Maßnahmen sollten wir konkret ergreifen, um die Erwartungen unserer Kundschaft in die geplante Neupositionierung einfließen zu lassen und unsere Konkurrenzfähigkeit zu erhöhen?
Nun, für “konkret” müsste ich natürlich wissen, worum es bei Ihnen geht. In den meisten Unternehmen scheitert es daran, dass die eigentlichen Erwartungen und Wünsche der Kunden und Kundinnen gar nicht bekannt sind. Meist geht man von eigenen Vorstellungen aus, wie sie sein sollten und könnten. Oder man geht nur von vorhandenen Kunden aus und nicht von denen, die sich bislang dem Angebot verweigert haben. Gerade hier wäre es spannend zu erfahren, warum? Solcherlei Impulse bringen einen in der Regel weiter als bestehende Kunden zu fragen. Deswegen sind – je nach Ausrichtung des Geschäftsmodells – Tests mit neutralen Probanden oder potenziellen Kunden interessant. Tests mit Prototypen neuer Produkte, Befragungen zu neuen Leistungen, Auswertungen von Blogs geben Impulse für eine mögliche Neupositionierung. Letztere muss dann allerdings auch im Vergleich mit anderen Mitbewerbern erfolgen, um daraus Ihre Konkurrenzstrategie zu formulieren. Wollen Sie Angreifer sein? Folgen Sie dem Wettbewerb? Wollen Sie sich durch eine Innovation profilieren?
Leser: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass eines Tages ein „disruptives Geschäftsmodell“ im Franchising entsteht oder vermarktet wird und eine ganze Branche umkrempelt? Vorläufig schaffen das wohl nur Internet-Startups.
Die Branchen, in denen sich Franchisesysteme bewegen, erfahren disruptive Geschäftsmodelle bereits. Ob Sie die Hotellerie mit airbnb nehmen, die Mobilität mit UBER etc. Ganz klar wird sich auch das Franchising als solches, als strategisches Format verändern und aufsplitten in traditionelle und neue Formen. Allein die Veränderungen, die mit den Generationen Y und Z einhergehen, verlangen nach neuen Formen. Ich habe gerade ein Referat zu “Leadership in digitalen Zeiten” gehalten, in dem es u.a. um diese Veränderungsthematik geht. Allein schon die Marktdynamik erfordert ein neues Denken auch im Franchising.
Leser: Mrs.Sporty präsentiert sich als Innovationsführer im Sport- und Fitnessmarkt für die Frau. So ist der Franchisegeber mit dem mit FIBO Innovation Award 2014 ausgezeichnet worden. Können Sie bereits positive Auswirkungen dieser Innovationsstrategie auf Suche und Bindung der Franchise-Partner erkennen?
Herzliche Gratulation! Innovationsführer zu sein ist attraktiv sowohl für Partner/innen wie Kundinnen, deren Bedürfnis es ist, bei den Besten dabei zu sein. Es erzeugt Aufmerksamkeit und einen Anker im Markt, aber natürlich auch Druck, diese Positionierung zu halten.
Leser: Der PIXFORMANCE Smart Trainer ermöglicht IT-gestützte Trainingsprogramme, mit denen der Leistungsstand im Training kontinuierlich erfasst und der Trainingsplan laufend angepasst werden kann. Entspricht webbasiertes Training wirklich einem von Mrs.Sporty identifizierten Bedürfnis der Zielgruppe oder geht es viel mehr um Datensammlung für neue Trainingskonzepte?
Es bedient beide Seiten. Wer sich für dieses Training entscheidet, möchte den Fortschritt verfolgen und auch motiviert werden. Selbstverständlich hilft es auch der Franchise-Geberin, das Angebot stetig zu optimieren. Wir leben in einer optimierungsgetriebenen Gesellschaft – wie uns Google immer wieder bestätigt.
Leser: Ich bin von Ihrer Antwort überrascht, angesichts der Big Data Diskussion hatte ich die Qualität der Datenbasis für Planung und Entscheidungsfindung als entscheidenden Erfolgsfaktor erwartet. Aber ich habe noch eine Frage: Welche Kriterien legen Sie bei der Bewertung einer Unternehmensstrategie zugrunde? Gibt es dafür harte Kennzahlen?
Die Datenbasis ist Teil des Unternehmenskonzeptes, das in seiner Aufstellung marktgerecht und vervielfältigbar sein muss. Welche Strategie für ein Unternehmen geeignet ist, hängt von diversen Faktoren ab. Ausgehend von der SWOT-Analyse, bei der qualitative wie quantitative Beurteilungen des Marktes und des Unternehmens vorgenommen werden, über die Unternehmenskultur bis hin zu den Zielsetzungen.
Leser: Gibt es nach Ihrer Erfahrung bestimmte Unternehmensstrategien, mit denen die Chancen auf einen wirtschaftlichen Erfolg von Innovationen erhöht werden können?
Die Profilierungsstrategie, zum Beispiel per Co-Creation und Rapid Prototyping. Ich hatte vorgängig schon vorgestellt, dass der Einbezug von potenziellen Kunden – und auch von Verweigerern – über Tests mit Prototypen gute Impulse für Innovationen birgt. Diese Impulse kommen direkt vom Markt und erhöhen damit auch die Chance des wirtschaftlichen Erfolges.
Leser: Ist Ihnen zufällig bekannt, anhand welcher Kriterien die Investoren in Silicon Valley ein innovatives Geschäftsmodell als aussichtsreich einstufen?
Aktuell setzen Investoren im Silicon Valley meines Wissens vor allem auf disruptive Geschäftskonzepte, also solche, die bisherige Geschäftspraktiken in Frage stellen, in dem sie vollkommen neue Prozesse etablieren, oft zum Beispiel unter Aussparung von Zwischenhandel oder Zwischennutzung. Dadurch werden diese schneller und liefern kostengünstigere Ergebnisse.
Leser: Über welche Kennzahlen fließen die sich ändernden Umweltbedingungen in die Unternehmensstrategie ein, um die Nachhaltigkeit von Wachstum und Ertragskraft sicherzustellen?
Hier spielen Zahlen zum Energieverbrauch, zum Materialeinsatz, zur Abfallvermeidung etc. eine bedeutende Rolle. Besonders erfolgreich werden diese, wenn unterschiedliche soziale und ökologische Faktoren kombiniert werden. Zum Beispiel, wenn der Einsatz von grösseren Fensterfronten in Discountgeschäften zur Reduzierung von Beleuchtungsenergie führt und gleichzeitig humanere Arbeitsplätze geschaffen werden.
Vielen Dank für den spannenden Chat. Ich wünsche Ihnen eine schöne Weihnachtszeit und einen guten Rutsch ins neue Jahr – und natürlich viele Ideen für Innovationen. Ihre Veronika Bellone